Rückspiegel: Politik für gleichgeschlechtliche Lebensweisen in Schleswig-Holstein

Positionen im Landtag: Antidiskriminierung, Beamtenrecht und Aktionsplan gegen Homophobie

Von den 1990ern bis 2009

Die SPD-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein hat sich in der 15. Legislaturperiode für ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz auf Bundesebene eingesetzt, das auch Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung verbietet.
Bei der Landtagsdebatte am 25. September 2003 hatten sich Regierung, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein umfassendes bundesgesetzliches Diskriminierungsverbot ausgesprochen, das auch die sexuelle Orientierung mit umfasst. Der SSW plädierte dafür, sich auf die EU-rechtlich vorgegebenen Tatbestände zu beschränken. Die FDP sprach sich erwartungsgemäß für Aufklärung und Bildung statt gesetzlicher Regelungen aus. Die CDU spekulierte darauf, dass der eingeleitete Umdenkungsprozess in der Gesellschaft den grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bald verwirklicht haben wird.

Zwischen 2005 und 2009 regierte in Schleswig-Holstein eine große Koalition aus CDU und SPD. In der Konsequenz bedeutete dies, dass es zwar gelungen ist, die Förderung für die landesweiten Angebote in sozialdemokratisch geführten Ministerien zu verankern, dass jedoch jede Weiterentwicklung der rechtlichen Situation von Lesben und Schwulen von der CDU blockiert wurde (auch in Schleswig-Holstein wurde, wie üblich, verankert, dass die Koalition Gesetze und Anträge nur gemeinsam einbringen kann). Beim Beamtenrecht wird dies besonders deutlich: Nachdem mit der ersten Föderalismusreform das Beamtenrecht 2006 auf die Länder übergegangen ist, müsste jedes Bundesland die rechtliche Gleichstellung bei Beihilfe, Pensionen etc. einzeln beschließen. Das war in Schleswig-Holstein zu Zeiten der Großen Koalition ebenso wenig durchsetzbar wie beispielsweise eine Verankerung der Gleichstellung im Kammergesetz.

Die FDP war in ihren Koalitionsverhandlungen mit der CDU 2009 erfolgreicher, hinzu kam auch Rückenwind durch die veränderte Situation nach mehreren höchstrichterlichen Urteile: Die Gleichstellung im Beamtenrecht wurde jedenfalls erfolgreich vereinbart.
In der politischen Positionierung und der Unterstützung für Lesben, Schwule und Transgender sieht es nicht so gut aus. Eine Initiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für einen Aktionsplan gegen Homophobie hängt seit Anfang 2010 in den Ausschüssen und die Koalitionsfraktionen wollen sich nicht so recht bewegen. (siehe hierzu auch den Beitrag “Homophobie bekämpfen – Anhörung im Landtag” vom 21. November 2010)

Politik im Flächenland

In einem Flächenland kann nicht an jedem Ort eine spezialisierte Beratungsmöglichkeit für alle gesellschaftlichen Gruppen und alle Fragestellungen vorgehalten werden. Daher kommt es darauf an, die Einrichtungen vor Ort in die Lage zu versetzen, auch in Bereichen zu beraten, auf die sie nicht spezialisiert sind. Der Weg, der in Schleswig-Holstein gegangen wird besteht darin, in verschiedenen Bereichen landesweit wirkende Einrichtungen aus Landesmitteln zu fördern.

Nachdem das Land zunächst ab 1996 landesweit mit relativ hohem Aufwand die Situation von Lesben und Schwulen in Schleswig-Holstein in die aktive gesellschaftspolitische Diskussion gebracht hat, haben gleichgeschlechtliche Lebensweisen inzwischen in viele Politikfelder Eingang gefunden. Dies gilt insbesondere für die Bildungs- und Jugendpolitik, zunehmend auch in Seniorenpolitik. (siehe auch unten: Maßnahmen …)
Mit der jetzigen Politik der Förderung von drei landesweit tätigen Projekten wird ein breites Spektrum erreicht. Für die Arbeit in der Fläche bedeutet dies, dass die unterschiedlichen Beratungsstellen, Initiativen und Verbände auf fundiertes Fachwissen zurückgreifen können, ohne dass Kreise und / oder Land spezifische Beratungsangebote flächendeckend anbieten müssen.

Die Politik der Landesregierungen seit 1996 hat die Fragen und Antworten zu gleichge-schlechtlichen Lebensweisen in zahlreiche andere gesellschaftliche Gruppen hineingetragen, u.a. in die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die mit ihren Angeboten im gesamten sozialen Bereich tätig sind. Daher profitiert die Arbeit in den einzelnen Einrichtungen von der Erweiterung ihres Themenspektrums. Beispielhaft hierfür ist das Engagement der Nordelbischen Kirche, in deren Angeboten die Belange von Lesben und Schwulen regelmäßig berücksichtigt werden.

Förderung im Haushalt

Schleswig-Holstein war nach dem rot-grünen Koalitionsvertrag 1996 zunächst mit relativ hohem Aufwand in die Förderung einer Beratungs- und Informationsstruktur rund um das lesbische und schwule Leben eingestiegen.

Es gab 1997 die bekannten beiden Stellen der Referentin und des Referenten für gleichge-schlechtliche Lebensweisen im Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs- und Städtebau, darüber hinaus 110.000 D-Mark (56,24 Tausend Euro) für Veranstaltungen und 250.000 D-Mark (127,82 Tausend Euro) für Förderung von Maßnahmen der Emanzipation. Zudem wurde 1997/1998 die erste Studie „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen in Schleswig-Holstein“ an der Christian Albrechts Universität zu Kiel erstellt siehe unten: Historie).

Die inhaltlichen Schwerpunkte lagen in den ersten Jahren in den Bereichen Jugend und Familie, Bildung und Arbeitswelt, die organisatorischen Schwerpunkte auf der Vernetzung der schon bestehenden Gruppen, Initiativen und gesellschaftlichen Gruppierungen, die sich für die Belange von Lesben und Schwulen einsetzten sowie der Gewinnung weiterer gesell-schaftlicher Akteurinnen und Akteure über Runde Tische.

In den ersten Jahren wurden zahlreiche Projekte gefördert: Donna Klara e.V., Kiel, HAKI e.V., Kiel, Jugendnetzwerk Lambda Nord e.V., Bad Oldesloe, Schwules Leben e.V., Flensburg, Frauen helfen Frauen e.V., Bad Oldesloe und Elmshorn, FrauKuKo, Kiel, subKultur e.V., Lübeck, Frauentreff Mettenhof, Kiel, artemis e.V., Kiel.  (nachzulesen in den öffentlichen Berichten der Landesregierung: Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung von Lesben und Schwulen, Drs. 14/1684 vom 22.8.1998 und Drs. 15/625 vom 21.12.2000)

Mit der fortschreitenden Vernetzung zwischen den Akteuren, der erfolgreichen rechtlichen Verankerung gleichstellungsrelevanter Fragestellungen und der zunehmenden Integration des Themenbereichs in andere Politikfelder wurden die Aufwendungen des Landes reduziert. In der 15. Legislaturperiode wurde die Stelle der Referentin im Ministerium nach deren Weggang nicht wieder neu besetzt, der Referent übernahm nach und nach weitere Aufgabenbereiche. In der 16. Legislaturperiode ist eine spezifische Zuständigkeit nicht mehr ausgewiesen.
Für 2012 sind – wie in allen anderen Politikbereichen, die so genannte “freiwillige Leistungen” umfassen – erhebliche Kürzungen vorgesehen.

Derzeit werden aus Landesmitteln drei Projekte gefördert, die landeweite Aufgaben übernehmen. Die drei Projekte decken zusammen genommen einen breiten Bereich der Belange von Lesben und Schwulen ab:

  • Die psychosoziale Frauenberatungsstelle Donna Klara e.V. erhält Landesmittel für die landesweite Koordinierung der Angelegenheiten lesbischer Frauen („landesweite Lesbenarbeit“). U.a. informiert sie die Fachöffentlichkeit – sowohl im frauenspezifischen als auch im psychosozialen Bereich –, hält Fortbildungsangebote vor, vernetzt und berät die Akteurinnen und Akteure, arbeitet mit anderen Verbänden in der Entwicklung und Integration spezifischer Angebote zusammen.
  • HAKI e.V.  ist im ehrenamtlichen Bereich tätig, vernetzt die Selbsthilfegruppen vor Ort und bietet ein breites Angebot an Informationen und Gruppenangeboten.
  • NaSowas ist im Bereich der Jugendarbeit tätig, koordiniert den Arbeitskreis Sexuelle Orientierungen in Schleswig-Holstein, bietet Beratung Jugendlicher durch Jugendliche an, qualifiziert Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Lehrkräfte und ist in das Jugend-verbandsspektrum eingebunden.

Nach den Regierungsneubildungen 2005 und 2009 und der Auflösung der Abteilung Jugend, Frauen, Familie im ehemaligen Jugend- und Familienministerium ist seit 2005 die Förderung auf verschiedene Häuser verteilt. HAKI und NaSowas werden im Haushalt des Sozialministeriums gefördert (Einzelplan 10), die psychosoziale Frauenberatungsstelle Donna Klara im Haushalt des Justiz- und Gleichstellungsministeriums (Einzelplan 09).
Das Land fördert jeweils die überregionale Arbeit der Träger; für die kommunalen Aufgaben, die vor Ort anfallen, sind die Kommunen zuständig.

Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung von Lesben und Schwulen

Die Landesregierung hatte zuletzt 2000 einen Bericht über die Maßnahmen zum Abbau der Diskriminierung von Lesben und Schwulen vorgelegt (Drs. 15/625). Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse wurden u.a. folgende Maßnahmen durchgeführt: (Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der CDU, Drs. 15/3483 vom 26. Mai 2004)

  • Überprüfung und ggf. Novellierung von Gesetzen und Verordnungen im Hinblick auf ungerechtfertigte Benachteiligungen gleichgeschlechtlicher Lebensweisen (festgestellt in 14 Gesetze und 17 Verordnungen, Aufnahme in Gesetz zur Anpassung des Landesrechts an das Lebenspartnerschaftsgesetz des Bundes)
  • Öffentlichkeitsarbeit, die eine klischeefreie Darstellung des Themas fordert (zahlreiche Publikationen, Web-Auftritt)
  • Berücksichtung der Belange von Lesben und Schwulen in allen Bereichen der Gesell-schaft (Beratung und Information durch HAKI, NaSowas und die psychosoziale Beratungsstelle Donna Klara, Literatur-Auswahlverzeichnis, Handreichung für Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Tagungsreihe „Weibliche Vielfalt zwischen den Meeren“, Kooperationsprojekt mit der Evangelischen Akademie Nordelbien → Projekt „Difference Troubles“, Forschungsprojekt an der Universität Kiel)
  • Aufarbeitung von Diskriminierung und Verfolgung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen insbesondere mit Blick auf nachfolgende Generationen (Runder Tisch mit Nordelbischer Kirche)
  • Aufklärung über und Maßnahmen gegen Formen von Gewalt gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung
  • Maßnahmen in Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, Bildungswesen, Arbeitswelt (Broschüre für Kinder mit lesbischen und schwulen Eltern, Veranstaltung „Unter dem Regen-bogen – Soziale Vielfalt von Familien und Verantwortungsgemeinschaften in Schleswig-Holstein“, Fortbildungsangebote von NaSowas